Spurenstoffelimination im HKW S-Mühlhausen
Über die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wird auf europäischer Ebene versucht, den Gewässerschutz – auch vor Spurenstoffen – voranzutreiben und zu koordinieren. Haupteintragspfad für Spurenstoffe in die Gewässer sind und bleiben die Kläranlagen. Daher wird seit einiger Zeit versucht, über die sogenannten vierten Reinigungsstufen den Eintrag von Spurenstoffen zu vermindern.
Klar ist jedoch, dass diese „End-of-pipe“-Lösung nicht die einzige Herangehensweise an die Problematik Spurenstoffe sein kann. Vielmehr sind auch Industrie und Verbraucher gefragt, ihren Verbrauch zu reduzieren und die Reste sachgemäß zu entsorgen.
Nutzen und Schaden – was sind Spurenstoffe?
Der Name lässt es schon erahnen: Spurenstoffe sind Mikroverunreinigungen, die in geringsten Konzentrationen vorkommen. In einem Liter Wasser sind sie in einer Größenordnung zwischen einem Millionstel und einem Milliardstel Gramm nachweisbar. Man möchte meinen, das falle nicht ins Gewicht, doch diese Mikroverunreinigungen können zu schwerwiegenden Folgen führen.
Unverzichtbare Verursacher
Spurenstoffe entspringen chemischen Substanzen in Produkten, die zunächst einen expliziten Nutzen haben. Wir alle verwenden sie gewohnheitsmäßig: Schmerztabletten, Deos, Spülmaschinentabs oder Schädlingsbekämpfer für Obstbäume und Gemüsebeete, um nur ein paar zu nennen. Beim Arzt kommen wir beispielsweise durch Röntgenkontrastmittel mit den Stoffen in Kontakt, in vielen Industriebereichen sind die Verursacher der Mikroverunreinigungen ebenfalls unverzichtbar. Etwa 100.000 Chemikalien sind in der Europäischen Union derzeit auf dem Markt. Sie alle hinterlassen ihre Spuren.
Giftig und zäh
Das Problem mit den Substanzen: Sie haben zwar ihren Nutzen, können aber trotzdem giftig wirken und sind obendrein häufig langlebig. Trotz unserer Klärwerke gelangt noch immer ein Cocktail aus diesen Stoffen in Bäche, Flüsse und Seen und richtet dort Schäden in der Tier- und Pflanzenwelt an. Und auch der Mensch ist gegen die Folgen nicht gefeit.
Der verwandelte Fisch – ökologische Auswirkungen
Normalerweise ist die Natur gut darin, negative Wirkungen natürlicher Schadstoffe zu entkräften. Mit manchen synthetischen Stoffen – solchen also, die in dieser Form in der Natur nicht vorkommen – weiß sie nicht umzugehen. Je mehr sie sich mit solchen widerstandsfähigen Stoffen konfrontiert sieht, desto größer ist die Belastung der Natur und desto niedriger ihre Abwehrkraft.
Schadstoffe in der Nahrungskette
Stören die Spurenstoffe die natürlichen Prozesse in Gewässern, kann das beispielsweise dazu führen, dass männliche Fische verweiblichen oder Schäden an Kiemen, Leber und Nieren auftreten. Die Spurenstoffe können auch Algen und andere Pflanzen angreifen und so das aquatische Gleichgewicht insgesamt ins Wanken bringen. Die Algen produzieren verunreinigte Nährstoffe, die etwa von Insekten und Kleinkrebsen aufgenommen werden – und danach in der Nahrungspyramide immer weiter nach oben steigen.
Gefahr für den Menschen
Für den Menschen besteht nicht nur die Gefahr, dass er die Spurenstoffe aufnimmt, wenn er Fisch isst. Spurenstoffe gelangen über das Grundwasser auch ins Trinkwasser. Vom ursprünglichen Nutzen der Produkte ist dann nichts mehr übrig. Studien zeigen, dass die Stoffe möglicherweise den Stoffwechsel stören, den Hormonhaushalt beeinträchtigen oder das Immunsystem schwächen. Alle Wirkmechanismen sind noch nicht erforscht.
Alle können helfen – wer Spurenstoffe verursacht
Jede und jeder Einzelne kann dazu beitragen, Verunreinigungen von Gewässern mit Spurenstoffen zu vermeiden. Denn in den meisten Fällen sind sie eine Folge der Produktion von Alltagsmitteln und – vor allem – deren Verbrauch. Und den haben wir selbst in der Hand.
Spurenstoffe betreffen uns alle
Spurenstoffe bringen all diejenigen in den Verkehr, die Reinigungsmittel, Medikamente, Kosmetika und andere Produkte mit chemischen Stoffen benutzen. Ins Abwasser gelangen die Mikroverunreinigungen zum Beispiel dann, wenn wir eine Schmerzsalbe verwendet haben und hinterher duschen, wenn wir eine Tablette schlucken und anschließend auf die Toilette gehen oder wenn wir zu Hause den Boden wischen und das Putzwasser inklusive der darin enthaltenen Haushaltschemikalien hinterher in den Abfluss schütten.
Vermeidung und Verringerung
Das führt zu einem Grundproblem: Die Hersteller der Produkte und der Handel stehen in der Pflicht, ein Problembewusstsein zu entwickeln und entsprechend zu handeln. Während jedoch die Produktionsbetriebe oder auch Krankenhäuser und Arztpraxen zu gezielten Maßnahmen aufgerufen sind, um zu vermeiden, dass das Abwasser verunreinigt wird, können wir nicht einfach aufhören zu duschen oder auf die Toilette zu gehen. Was wir hingegen tun können, ist das Beachten einiger einfacher Punkte.
Medikamente entsorgen – wie wir Spurenstoffe vermeiden
Ein großer Schritt zur Vermeidung der schädlichen Spurenstoffe heißt Sensibilisierung. Oft agieren wir unbedacht, weil wir uns der Folgen unseres Handelns nicht bewusst sind. Abgelaufene Medikamente – egal ob in Tropfen-, Salben- oder Pillenform – über die Toilette oder den Abfluss zu entsorgen, mag naheliegen. Es ist aber grundfalsch.
Ab in den Hausmüll
Die meisten Medikamente dürfen in Stuttgart in die hauseigene Restmülltonne. Auch viele Apotheken nehmen abgelaufene Arzneien entgegen. Das Schadstoffmobil der Landeshauptstadt ist ebenfallseine Option. Allein durch die richtige Entsorgung der Medikamente lassen sich Schätzungen zufolge bis zu einem Fünftel der Arzneimittelrückstände in unseren Gewässern vermeiden. Was zeigt: Die Entsorgung über die Toilette ist nicht nur falsch, sondern schadet unserer Umwelt.
Ist die Einnahme wirklich nötig?
Schwieriger ist die Lage bei Rückständen von Medikamenten, die wir tatsächlich einnehmen müssen, um gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden. Wie erwähnt: Es lässt sich nicht vermeiden, dass sie ins Abwasser gelangen. Der demografische Wandel und ein höherer Pro-Kopf-Bedarf führen Studien zufolge zu einem rapiden Anstieg des Arzneimittelverbrauchs in Deutschland. Auf Medikamente, die wir nicht zwingend benötigen, sollten wir besser verzichten– zu unserem Wohl und zum Wohl der Umwelt.
Ein bewährtes Mittel – Spurenstoffe mit Aktivkohle eliminieren
In einem konventionellen Klärwerk durchläuft das Abwasser üblicherweise drei Reinigungsstufen: Eine mechanische, eine biologische und eine weitergehende Reinigung zur Nährstoffelimination. Um die danach noch im Abwasser enthaltenen Spurenstoffe zu entfernen, werden die Stuttgarter Klärwerke sukzessive um eine 4. Reinigungsstufe zur Spurenstoffelimination erweitert. Im Hauptklärwerk Stuttgart-Mühlhausen kommt hierzu Pulveraktivkohle (kurz: PAK) zum Einsatz.
Aktivkohle bindet Schadstoffe
Weil die PAK sehr porös ist, eignet sie sich gut, um Spurenstoffe zu binden. Sie wird dem Reinigungsprozess im Klärwerk dosiert zugegeben und wird mehrfach mit den Schadstoffen beladen, bevor sie dann durch Sedimentation und Filtration wieder aus dem Abwasser entnommen wird. Im Hauptklärwerk Stuttgart-Mühlhausen erfolgt die Zugabe von PAK direkt in den Ablauf der Belebungsbecken in der biologischen Stufe. Im Nachklärbecken wird sie gemeinsam mit dem Klärschlamm entnommen und anschließend verbrannt.
Positive Effekte
Die Klärschlammverbrennung bedeutet also die endgültige Vernichtung der Mikroverunreinigungen. Das gereinigte Abwasser fließt derweil zum Sandfilter und dann, letztendlich signifikant sauberer, in ein natürliches Gewässer. Im Falle des Hauptklärwerks Stuttgart-Mühlhausen ist das der Neckar.
Adsorptive Reinigung
Im Ablauf des Belebungsbeckens befindet sich die erste Stufe der adsorptiven Reinigung: Dem Wasser wird pulverisierte Aktivkohle zugeführt, um Spurenstoffe zu eliminieren. Die Spurenstoffe lagern sich dabei in den Poren der Aktivkohle an und können in der Nachklärung als Flocke aus dem Abwasser entfernt werden.
Meilenstein am Neckar – 4. Reinigungsstufe im HKW S-Mühlhausen
Es ist auf 1,2 Millionen Einwohnerwerte ausgelegt und reinigt täglich bis zu 160.000 Kubikmeter Wasser: Das Hauptklärwerk Stuttgart Mühlhausen ist landesweit das größte Klärwerk. Bis 2028 investiert die Stadtentwässerung Stuttgart 85 Millionen Euro, um Spurenstoffe aus dem Abwasser zu entfernen und so das Ökosystem zu schützen. Das Land Baden-Württemberg bezuschusst den Bau der vierten Reinigungsstufe mit 20 Prozent der Investitionskosten.
Erster Abschnitt erfolgreich
Der Umbau der Anlage geschieht, ohne den laufenden Betrieb nennenswert zu beeinträchtigen. Anfang November 2022 konnten die SES und die Stadt Stuttgart den erfolgreichen Abschluss des ersten von drei mehrjährigen Abschnitten feiern, an Ort und Stelle zu bewundern in Form von rund 20 Meter hohen blauen Silos, die insgesamt 150 Kubikmeter Pulveraktivkohle fassen.
Bewährte Technik für die Zukunft
Zu den weiteren Schritten gehört, die bestehende Abwasserfiltration aus dem Jahr 1984 für die Spurenstoffelimination umzubauen. Außerdem ist vorgesehen, die Elektro- und Maschinentechnik zu überholen. Mit diesem innovativen Lösungsansatz kann die SES einen Großteil der verbliebenen Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser entfernen und den Neckar entlasten.
Aktiv für's Ökosystem – Kollektivaufgabe Spurenstoffelimination
Dank der Fortschritte der chemischen Analytik in den vergangenen Jahrzehnten lassen sich heute selbst geringste Konzentrationen zahlreicher Stoffe im Wasser nachweisen – genau wie deren schädliche Folgen. Mit dem Ausbau des Hauptklärwerks in S-Mühlhausen untermauert die Stadtentwässerung Stuttgart ihr Verantwortungsbewusstsein für den Schutz von Mensch und Umwelt, den sie jedoch nicht allein stemmen kann. Das erste Ziel muss sein, die Menge an Spurenstoffen
im Abwasser von vornherein zu verringern.
Das ist eine Aufgabe, die alle angeht: Die Industrie steht in der Pflicht, umweltschonendere Produkte zu nutzen oder zu entwickeln. Und auch die Bevölkerung kann wie gezeigt ihren Beitrag leisten. Es liegt in unser aller Interesse!